- Holocaust: Die rassistische Vernichtungspolitik Deutschlands
- Holocaust: Die rassistische Vernichtungspolitik DeutschlandsDer Antisemitismus wird StaatsdoktrinMit dem Sieg des Nationalsozialismus über die Demokratie war 1933 der Antisemitismus Staatsdoktrin in Deutschland geworden. Zu den Stationen der Entwicklung gehörten im April 1933 der Boykott gegen jüdische Geschäfte und Unternehmen, die Verdrängung der Juden aus Berufen, Universitäten, Theatern und Schulen und ihre Ausgrenzung aus der Gesellschaft durch die Nürnberger Gesetze 1935. Mit diesen Gesetzen wurden den Juden die Bürgerrechte aberkannt: Menschen, die seit Generationen in Deutschland lebten, die tief in der deutschen Kultur verwurzelt waren, wurden zu Staatsangehörigen zweiter Klasse herabgestuft. Die deutschen Bürger nahmen diese Diskriminierungen, da sie formal »legal« waren, weil sie von Staats wegen verfügt worden waren, ohne Protest als neues »Recht« hin.Im April 1938 mussten Juden ihre Vermögen deklarieren, ab Mai 1938 waren sie von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, im Juli gab es eine besondere Kennkarte für sie, im August erging die Verordnung zur Führung der zusätzlichen Zwangsvornamen Sara(h) oder Israel, im Oktober wurde — auf Initiative Schweizer Behörden — in die Reisepässe ein J gestempelt. Nach seinem »Anschluss« im März 1938 wurde Österreich Experimentierfeld für die forcierte Auswanderung der etwa 200000 Juden. Im Auftrag des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) übte die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien seit August 1938 entsprechenden Druck aus. Geleitet von Adolf Eichmann, war sie das Vorbild der Berliner Reichszentrale für jüdische Auswanderung, die im Januar 1939 eingerichtet wurde.Die Ermordung des deutschen Botschaftssekretärs Ernst Eduard vom Rath in Paris am 7. November 1938 durch den 17-jährigen Herschel Grynszpan bot den Nationalsozialisten den Anlass zum Pogrom im November 1938. Weil er sich in Paris aufhielt, war Grynszpan als einziges Familienmitglied nicht im Oktober 1938 deportiert worden, als 17000 Juden polnischer Nationalität, die in Deutschland gelebt hatten, abgeschoben worden waren. Das nationalsozialistische Regime machte aus dieser Verzweiflungstat eine »Verschwörung des Weltjudentums« und benutzte diese Gelegenheit, Judenfeindschaft brutal und öffentlich zu demonstrieren. Die Demonstration erfolgte als Gewaltakt gegen die jüdische Minderheit. Der staatlich verordnete Pogrom leitete die offene Verfolgung der Juden in Deutschland und wenig später in Europa ein. Der Novemberpogrom war nur ein Symptom, ein erster, Schrecken erregender Höhepunkt der Diskriminierung: Der Sachschaden betrug einige Hundert Millionen Reichsmark, die Zahl der Todesopfer — durch Mord, als Folge von Misshandlung, Schrecken, Verzweiflung — ging, die Selbstmorde nicht mitgerechnet, mindestens in die Hunderte. Am 12. November wurde den Juden eine »Sühneabgabe«, die eine Milliarde Reichsmark betrug, auferlegt; mit Gewalt drängte das Regime Juden zur Auswanderung; es folgten die Liquidierung aller Geschäfte und Unternehmen, die »Arisierung« auch des Grund- und Immobilienbesitzes, die völlige Entrechtung in Etappen bis zur physischen Vernichtung.Die Reaktion der Deutschen auf den Novemberpogrom war zwiespältig. Viele, sie bildeten sicherlich die Mehrheit, lehnten die pöbelhaften Exzesse, die rohe Gewalt gegen Menschen und deren Eigentum, ab, sie fanden ihre Vorstellungen von Ordnung und Vernunft ins Gegenteil verkehrt, wenn sie beobachteten, wie die Feuerwehr brennende Synagogen nicht löschte, sondern sich darauf beschränkte, die Nachbargebäude zu schützen, wie die Polizei befehlsgemäß zusah oder sich abwandte, wenn Juden misshandelt wurden. Viele Bürger, die die Gewaltakte missbilligten, waren aber nur mit den Methoden unzufrieden, die ihre nationalsozialistische Obrigkeit anwandte. Mit dem Ziel, die Juden zu vertreiben, sie bei passender Gelegenheit ihres Eigentums zu berauben, waren sie, wenn nicht von Hause aus, so in der Folge der antisemitischen Propaganda im Großen und Ganzen schon einverstanden.Man kann den Novemberpogrom als ein Ritual öffentlicher Demütigung deuten, als inszenierte Entwürdigung einer Minderheit, gegen die Vorurteile existierten, gegen die latente Hass- und Neidgefühle mobilisiert werden konnten. Die Nationalsozialisten verwandten viel Mühe daran, die deutschen Juden zu Fremden zu machen. Der Unterschied zwischen »Deutschen« und »Juden« ist dabei propagandistisch erfolgreich herausgearbeitet worden.Die Entrechtung der Juden zu Beginn des KriegsZu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft hatten etwa 500000 Juden in Deutschland gelebt, bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs war etwa die Hälfte von ihnen ausgewandert. Die Emigration war schwierig genug, und diejenigen, denen die Auswanderung glückte, wurden zuvor vom deutschen Staat gründlich ausgeplündert. Der 1. September 1939 brachte, mit dem Krieg begründet, weitere Schikanen für die deutschen Juden. Dazu zählten Ausgangsbeschränkungen, ab dem 20. September 1939 das Verbot des Besitzes von Rundfunkgeräten und die Einschränkung, die knapp zugeteilten Lebensmittel nur in bestimmten Läden zu besonderen Zeiten kaufen zu können. Zu den Schikanen gehörten schließlich auch die Verbote, Leihbüchereien zu benutzen und Haustiere zu halten. Ab Juli 1940 durften Juden keine Telefonanschlüsse mehr haben, ab Dezember 1941 war ihnen auch die Benutzung öffentlicher Fernsprecher verboten.Im Frühjahr 1939 wurden mit dem Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden die Voraussetzungen für die Zusammenlegung jüdischer Familien in »Judenhäusern« geschaffen. Diese Gettoisierung wiederum diente der Vorbereitung zu ihrer Deportation aus Deutschland. Im Oktober 1941 erging in Umkehrung der bisherigen Politik ein Emigrationsverbot für Juden. Zwei Verfügungen vollendeten die Diskriminierung und Entrechtung: Die Polizeiverordnung vom 1. September 1941 zwang Juden vom vollendeten 6. Lebensjahr an zum Tragen des Judensterns. Mit Wirkung vom 1. Juli 1943 wurden die Juden in Deutschland unter Polizeirecht gestellt; damit existierten für sie keine Rechtsinstanzen mehr.Die Gettoisierung der Juden in PolenMit der deutschen Besetzung Polens begann dort im Herbst 1939 die Verfolgung der Juden. Zwangsarbeit und Ausgangssperren waren erste offizielle Maßnahmen. Es folgten der Ausschluss aus der Wirtschaft, die Sperrung der Bankkonten, willkürliche Verhaftungen. Im November 1939 wurden die Synagogen zerstört. Ab November 1939 mussten alle Juden ein Kennzeichen tragen, zunächst eine gelbe Armbinde, dann einen Judenstern.Als Orte des Zwangsaufenthalts zur Demütigung und Ausbeutung der Juden wurden mit Beginn des Kriegs unter deutscher Besatzung in größeren Städten Gettos errichtet. Sie dienten durch die örtliche Konzentrierung der jüdischen Bevölkerung als Relaisstationen eines riesigen Bevölkerungstransfers.Ab Anfang 1940 wurden die Gettos gegen die Außenwelt abgeriegelt, ab 1941 waren sie auch das Ziel von Deportationen aus Deutschland. Zu den Gettos in Warschau, Lodz und Krakau, Tschenstochau, Radom, Kielce und in vielen anderen Orten auf polnischem Boden kamen ab Juni 1941 mit dem Überfall auf die Sowjetunion die Gettos in Ostpolen, Litauen, Estland und Lettland, Weißrussland und in der Ukraine hinzu wie Wilna und Kaunas, Riga, Minsk und als eines der letzten Lemberg im August 1942. Die Gettos bildeten eine Etappe in der Geschichte des Holocaust, sie waren bei allem Leid und Elend, bei allen Tragödien, die sich dort abspielten, jedoch noch nicht die Hauptschauplätze des Völkermords. Sie waren in den Jahren 1940 bis 1943 Wartesäle zur Vernichtung, Vorhöfe der Hölle, Zwischenstationen für die Lager, in die die Menschen dann zum Zweck ihrer Ermordung deportiert wurden.Im Herbst 1941 begannen, systematisch vorbereitet und gut organisiert, die Deportationen der deutschen Juden. Probehalber waren bereits Anfang 1940 1000 Juden aus Stettin in die Nähe von Lublin und Ende Oktober 1940 Juden aus Südwestdeutschland nach Südfrankreich »evakuiert« worden. Ziel der planmäßigen Deportationen ab Herbst 1941 waren erst die Gettos und später direkt die Vernichtungslager im Osten. Mit der Deportation endete die bürgerliche Existenz; alle Vermögenswerte fielen an das Deutsche Reich. Einige Tage vor dem Abtransport ergingen detaillierte Anweisungen, unter anderem, wie die Wohnungen zu hinterlassen seien, oder über das Bezahlen von Licht- und Wasserrechnungen. An Sammelplätzen in den Großstädten wurden die Transporte zusammengestellt und auf zentral gelegenen Güterbahnhöfen abgefertigt. Jüdische Organisationen mussten Hilfsdienste dabei leisten. Die Deportationen waren als Umsiedlungsmaßnahmen getarnt, deshalb mussten die Deportierten Handwerkszeug und Baustoffe mitführen. Die meisten Transporte aus Deutschland erfolgten 1942/43. Eine Gruppe deutscher Juden galt als »priviligiert«, weil sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung scheinbar besser behandelt werden sollte. Ihr Ziel war ab Juni 1942 das »Altersgetto« Theresienstadt in Nordböhmen, wo Weltkriegsteilnehmer, Alte und Kranke unter schwer vorstellbaren elenden Bedingungen vegetierten. Ihnen hatte das Deutsche Reich die letzten Vermögenswerte durch »Heimeinkaufsverträge« abgejagt, die Wohnung, Ernährung und Pflege vorspiegelten. Tatsächlich war aber Theresienstadt für die meisten nur eine Station auf dem Weg in die Mordlager.Der GenozidUnter der Bezeichnung »Endlösung der Judenfrage« wurde ab Frühjahr 1941 die Vernichtung der Juden im gesamten deutschen Herrschaftsgebiet geplant. Am 31. Juli 1941 beauftragte Reichsmarschall Hermann Göring Heydrich, »einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen«. Die Ausrottung der Juden war allerdings schon zum Zeitpunkt des Überfalls auf die Sowjetunion im Juni 1941 beschlossen. Ein schriftlicher Auftrag Hitlers existierte nicht, er war auch nicht erforderlich, um die Vernichtung in Gang zu setzen.Die Zentrale des VölkermordsDas Reichssicherheitshauptamt als Zentrale von Gestapo, Sicherheitsdienst und Kriminalpolizei war die Schaltstelle, von der aus die Judenpolitik, die zunächst die Deportation, dann den Völkermord betraf, organisiert wurde. Die entscheidenden Männer waren Heinrich Himmler, der als Reichsführer SS die oberste Instanz des Terrorapparats war, zu dem die Konzentrations- und Vernichtungslager und die Einsatzgruppen gehörten, und unter ihm die SS-Offiziere im Generalsrang wie Reinhard Heydrich und sein Nachfolger Heinrich Müller an der Spitze des Reichssicherheitshauptamts, die »Höheren SS- und Polizeiführer« in den besetzten Gebieten, die Befehlsempfänger in der SS-Bürokratie wie die KZ-Kommandanten und ihre Wachmannschaften oder die Männer der Einsatzgruppen.Die WannseekonferenzUm die beteiligten Reichsbehörden zu informieren, lud Heydrich deren Vertreter zum 20. Januar 1942 in eine SS-eigene Villa am Großen Wannsee in Berlin ein. Die Teilnehmer vertraten im Rang von Staatssekretären und hohen SS-Offizieren Reichsministerien und zentrale SS-Dienststellen sowie Behörden wie das Amt des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete. Das Protokoll führte Eichmann, ein SS-Offizier im Range eines Obersturmbannführers, der seit Ende 1939 das Referat IV B 4 (»Judenreferat«) im RSHA (Reichssicherheitshauptamt) leitete. Er hatte seit 1940 Erfahrungen im Massentransport und in der Gettoisierung von Menschen, er organisierte die Abschiebung von Juden — und Polen — erst in den besetzten polnischen Gebieten, dann auch aus Deutschland und schließlich aus ganz Europa nach Polen.Die Besprechung am Wannsee eröffnete Heydrich mit der Feststellung, dass die Kompetenz in der Judenpolitik ausschließlich und ohne geographische Begrenzung beim Reichsführer SS Heinrich Himmler oder bei ihm selbst als dem von diesem dazu Bevollmächtigten lag.Das Geschick, das mindestens elf Millionen Juden zugedacht war, war im Protokoll der Konferenz unmissverständlich prognostiziert: »Unter entsprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.« Weil der Völkermord an den Juden auf der Tagesordnung stand, wird das Treffen am 20. Januar 1942 immer wieder missverstanden als die Gelegenheit, bei der der Holocaust »beschlossen« worden sei. Abgesehen davon, dass eine Verabredung zur Vernichtung von Millionen Menschen die Kompetenz der Besprechungsteilnehmer überstiegen hätte, waren die Mordkommandos längst an der Arbeit. Das Protokoll der Wannseekonferenz ist trotzdem ein Schlüsseldokument des Genozids, da aus ihm zweifelsfrei hervorgeht, dass das nationalsozialistische Regime die Ermordung von elf Millionen Juden in Europa plante.Mitte 1942 lief die »Aktion Reinhardt« an. Die Aktion hatte die Tötung der Juden zum Ziel, die in den Gettos auf polnischem Boden lebten und Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten mussten. Drei spezielle Vernichtungslager, Bełzec, Sobibór und Treblinka, sind als Mordstätten errichtet worden, in ihnen endeten die meisten Gettobewohner. In Białund in Warschau setzten sich verzweifelte Juden gegen ihre Deportation zur Wehr und leisteten einen heroischen, aber aussichtslosen Widerstand gegen die Deutschen.Die Mordaktionen der EinsatzgruppenDer Wehrmacht beim Überfall auf die Sowjetunion folgend, waren seit Juni 1941 die »Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD« in Tätigkeit. Der Auftrag der Mordkommandos — insgesamt 3000 Mann in vier »Einsatzgruppen« — bestand darin, im Baltikum, in Weißrussland, in der Ukraine und auf der Krim potenzielle Gegner zu liquidieren. Die Juden wurden in erster Linie zu diesem Personenkreis gerechnet, sie bildeten die meisten Opfer der Einsatzgruppen. Zwischen Juni 1941 und April 1942 sind von den aus SS und Polizei rekrutierten Mördern fast 560000 Menschen getötet worden. Zur Taktik gehörten auch Pogrome, angezettelt mithilfe einheimischer Kollaborateure, und vor allem Massenerschießungen. In Litauen und Lettland, in Weißrussland und in der Ukraine sowie in den anderen besetzten Gebieten fanden sich willige Helfer beim Holocaust, die den deutschen Mördern zur Hand gingen.In Babij Jar, einer Schlucht am Stadtrand von Kiew, wurden an zwei Tagen Ende September 1941 33771 jüdische Menschen erschossen. Sie waren durch Plakate an eine bestimmte Straßenkreuzung befohlen worden, von der aus sie zu der Schlucht getrieben wurden, deren Zweck sie erst im letzten Moment erkennen konnten. Zuvor mussten sie ihre Habe abliefern und sich entkleiden. Am Rand der Schlucht wurden sie in Zehnergruppen mit Maschinengewehren niedergeschossen. Die Schützen wechselten sich ab, das Morden hatte keine Pausen. Babij Jar war kein Einzelfall, Erschießungsaktionen und Massengräber gab es überall in den besetzten Ostgebieten; seit Frühjahr 1943 war ein Spezialkommando der SS damit beschäftigt, die Spuren zu beseitigen. Juden mussten, ehe sie zuletzt selbst erschossen wurden, die Leichen exhumieren und verbrennen.Der »geräuschlose« Massenmord — Der grausame Weg in die GaskammerDie Mordmethoden waren inzwischen längst verfeinert worden. Das Erschießen ging nicht schnell genug, und die Nerven der Mörder wurden dabei zu arg strapaziert. Auf der Suche nach effektiveren Mordwerkzeugen war man, auf die Erfahrungen und das Personal der Ermordung Behinderter und Geisteskranker in der »Euthanasie«-Aktion 1939/40 zurückgreifend, auf die Verwendung von Giftgas verfallen. Kohlenmonoxid wurde verwendet bei den »Gaswagen«, umgebauten Lastkraftwagen, deren Auspuffgase in den mit Menschen voll gestopften hermetisch abgedichteten Innenraum geleitet wurden. Nach kurzer Fahrt wurden die Leichen ins Massengrab gekippt. Gaswagen wurden von den Einsatzgruppen in Weißrussland verwendet ebenso wie in Serbien; in Chełmno (Culm) waren sie die Ausrüstung eines Vernichtungslagers.Der Befehl Himmlers an den Kommandanten des KZ Auschwitz im Sommer 1941, eine quasi industrielle Tötungsmethode zu finden, leitete die letzte Phase des Massenmordens ein. Auschwitz war im Mai 1940 als KZ für Polen auf einem Kasernengelände errichtet worden und hatte sich zum größten Ausbeutungs- und Vernichtungskomplex überhaupt entwickelt. An drei Hauptstandorten (Stammlager, Birkenau, Monowitz) und in 38 Nebenlagern wurde Sklavenarbeit geleistet und Leben vernichtet. Im September 1941 fand im Stammlager (Auschwitz I) ein erster Versuch mit dem Gift Zyklon B statt. Das an Kieselgur gebundene blausäurehaltige gasförmige Desinfektionsmittel ließ sich leicht und für die Mörder gefahrlos transportieren und handhaben. Ab Frühjahr 1942 wurde in Birkenau (Auschwitz II) in eigens errichteten — dann mehrfach umgebauten und vergrößerten — Gaskammern der geräuschlose und schnelle Massenmord praktiziert. Aus ganz Europa kommend, endeten die Eisenbahntransporte auf der Rampe, wo die Arbeitsfähigen bei der Selektion zurückbehalten, alle anderen — in der Regel 90 Prozent der Ankommenden — direkt in die Gaskammern getrieben wur- den. Auch in Birkenau versuchte die SS Spuren zu beseitigen und sprengte im Herbst 1944 Gaskammern und Krematorien. Die Gesamtzahl der Opfer des Holocaust exakt zu ermitteln, bereitet beträchtliche Schwierigkeiten, da ein Teil der Ermordeten nur pauschal registriert wurde. Mit quellenkritischen und statistischen Methoden haben jedoch Historiker die Dimension des Völkermords definiert.Ein beispielloses Verbrechen — Der HolocaustIn 194 (von insgsamt 195) erhalten gebliebenen »Ereignismeldungen UdSSR« des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für den Zeitraum vom 23. Juni 1941 bis zum 24. April 1942, in den vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD-Kommandostabs vorgelegten 55 »Meldungen aus den besetzten Ostgebieten« (1. Mai 1942 bis 21. Mai 1943) und in den elf zusammenfassenden »Tätigkeits- und Lageberichten der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in der UdSSR« (22. Juni 1941 bis 31. März 1942) ist die Ermordung von mindestens 535000 jüdischen Menschen dokumentiert. Aufgrund des vorliegenden Quellenmaterials über weitere Vernichtungsaktionen, Pogrome und Massaker ist davon auszugehen, dass 700000 bis 750000 Juden schon im ersten Dreivierteljahr der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft auf sowjetischem Boden ermordet worden sind. Eine der wichtigsten statistischen Quellen ist der Bericht des in Diensten der SS stehenden »Inspekteurs für Statistik«, Richard Korherr, dem zu entnehmen ist, dass die nationalsozialistische Judenpolitik bis zum 31. März 1943 schon mehr als 2 Millionen Opfer gefordert hatte. In den Vernichtungslagern auf polnischem Territorium sind fast drei Millionen Juden ermordet worden: in Chełmno 152000, in Bełzec 600000, in Sobibór 250000, in Auschwitz-Birkenau 1000000, in Treblinka 900000 und in Majdanek 60000 bis 80000. Die Gesamtbilanz aufgrund neuester Forschungsergebnisse kommt auf mindestens sechs Millionen Holocaustopfer.Das auf der Wannseekonferenz verkündete Ziel, die Vernichtung aller Juden Europas, wurde nicht erreicht. Aber sechs Millionen Opfer machen ebenso wie die ideologischen Prämissen das Verbrechen singulär. Motive und Funktion des Genozids im nationalsozialistischen Herrschaftsgefüge, in der Expansionspolitik, im militärischen Verlauf des Zweiten Weltkriegs werden von den Historikern kontrovers diskutiert. Vom nationalsozialistischen Programm als der Intention ausgehend, die in zielgerichteter Umsetzung der antisemitischen Ideologie von Anfang an die physische Vernichtung der Juden betrieb, nennt man diese historisch argumentierende Richtung »Intentionalisten«. In ihren Erklärungsmodellen spielt Hitler naturgemäß eine wichtige Rolle.Aus Zwangsläufigkeiten der Herrschaftsstruktur, die schließlich zur »kumulativen Radikalisierung« des ganzen nationalsozialistischen Systems führte (Hans Mommsen), interpretieren die »Funktionalisten« den Holocaust. Zur Begründung dienen ihnen systemimmanente Notwendigkeiten ebenso wie die Möglichkeiten und Zufälle, wie sie sich aus der militärischen Lage ergaben oder die Reflexe darauf waren. Aus einer Täterlogik heraus, die in erster Linie Bevölkerungspolitik im Sinne hatte und bei ihren säkularen Umsiedlungsaktionen auch die Juden vernichtete, sucht ein anderer Ansatz den Holocaust zu erklären. Raul Hilberg, dem Historiker, der den Holocaust am genauesten und ausführlichsten beschrieben hat, bleibt das Geschehen letztlich unerklärlich. Diese Feststellung ist ebenso unbefriedigend wie jeder monokausale Erklärungsversuch und wie die theologischen, philosophischen, psychologischen Theorien, die mit dem Anspruch ausschließlicher Gültigkeit vorgetragen werden, um den Holocaust zu erklären.Prof. Dr. Wolfgang BenzGrundlegende Informationen finden Sie unter:Weltkrieg, Zweiter: Leben im KriegAntisemitismus: Ein DeutungsversuchBrowning, Christopher R.: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die »Endlösung« in Polen. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe Reinbek 1996.Burrin, Philippe: Hitler und die Juden. Die Entscheidung für den Völkermord. Aus dem Französischen. Frankfurt am Main 1993.Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, herausgegeben von Wolfgang Benz. Taschenbuchausgabe München 1996.Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, herausgegeben von Eberhard Jäckel u. a. Übersetzt von Margrit Bergner. 4 Bände. Neuausgabe München u. a. 1995.Erinnern als Vermächtnis, Videokassette 1: Glazar, Richard: Flucht aus Treblinka. Berlin 1995.Erinnern als Vermächtnis, Videokassette 3: Mannheimer, Max: Überleben in Auschwitz. Berlin 1995.Glazar, Richard: Die Falle mit dem grünen Zaun. Überleben in Treblinka. Frankfurt am Main 1994.Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden. 3 Bände Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1994.Krausnick, Helmut / Wilhelm, Hans-Heinrich: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. 1938-1942. Stuttgart 1981.Pätzold, Kurt / Schwarz, Erika: Tagesordnung: Judenmord. Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942. Eine Dokumentation zur Organisation der »Endlösung«. Berlin 31992.Safrian, Hans: Eichmann und seine Gehilfen. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1995.»Schöne Zeiten«. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, herausgegeben von Ernst Klee u. a. Frankfurt am Main 61988.Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem »Prinz-Albrecht-Gelände«. Eine Dokumentation, herausgegeben von Reinhard Rürup. Berlin 111997.
Universal-Lexikon. 2012.